„Sein kleines Mädchen.“

Ich sah ihn in der blauen U-Bahn-Linie. Zwei Sitze vom Ende des Wagens entfernt, die Jacke bis zum Kinn zugeknöpft, die Schuhe kurz davor, auseinanderzufallen. Er trug diese Art von Müdigkeit in sich, die Schlaf nicht heilen kann – es war eine Lebensmüdigkeit.

Aber nicht er war es, der mich berührte. Es war das, was er in den Armen hielt.

Ein winziges Kätzchen, nicht älter als ein paar Wochen, hatte sich zu einer kleinen Kugel zusammengerollt in seiner Armbeuge, als hätte es dort schon immer gelebt. Er hielt es so behutsam, als wäre es aus Papier und Träumen gemacht. Das Kätzchen schlief, die Pfötchen unter das Kinn gezogen, und schnurrte so laut, dass ich es durch das Rumpeln des Zuges hören konnte.

Niemand sonst bemerkte es.

Ich setzte mich ihm gegenüber und fragte leise:

— Gehört sie Ihnen?

Er schaute auf das Kätzchen, lächelte und sagte:

— Nein. Sie hat mich gefunden.

Er erzählte, dass er sie vor drei Nächten in einer Gasse hinter einer Bäckerei gefunden hatte. Sie hatte geweint. War nass. Durchgefroren. Er gab ihr die letzten Reste seines Sandwichs und wickelte sie in den einzigen trockenen Schal, den er besaß. — Ich dachte, ich kann ihr wenigstens eine warme Nacht schenken, — sagte er. — Und sie blieb.

Ich fragte, wohin er sie bringt.

— An einen besseren Ort, — antwortete er. — Jemand hat einen Zettel auf der Bank an der Ecke der Sechsten Straße und der Ahornallee hinterlassen. Sie schrieben, dass sie helfen würden, wenn ich sie lebend zurückbringe.

— Einen Zettel?

Ich hob überrascht die Augenbrauen. Er zog eine zusammengefaltete Serviette aus seiner Jackentasche. Darauf stand mit blauer Tinte geschrieben:

„Sie hört auf den Namen ‚Mina‘. Bitte lassen Sie sie nicht allein. Wenn Sie sie finden — bringen Sie sie nach Hause zurück.“

Und auf der Rückseite stand eine Telefonnummer.

Doch was mir das Herz zusammenschnürte, war die Unterschrift:

„Sein kleines Mädchen.“

— Das ist… unglaublich, — flüsterte ich. — Sie bringen sie zurück zu ihrer Familie.

Er nickte:

— Es fühlt sich richtig an. Als wäre sie zu mir geschickt worden.

Wir fuhren schweigend weiter. Nur das Rattern der Räder war zu hören. Ich sah zu, wie er Mina über das weiche Fell strich – vorsichtig, als hätte er Angst, ihr weh zu tun.

— Wie heißen Sie? — fragte ich.

— Nennen Sie mich Sila, — sagte er, ohne den Blick von dem Kätzchen zu wenden.

— Ich bin Lera.

Wir sprachen bis zum Ende der Fahrt. Er erzählte mir von seinem Leben, davon, wie er seit Jahren auf der Straße lebte, wie er seine Familie verloren hatte… und wie Mina – dieser winzige Fellball – ihm wieder einen Grund gegeben hatte, sich zu kümmern.

Als wir die Ecke von Sechster Straße und Ahornallee erreichten, stiegen wir aus. Die Bank war da, wie er gesagt hatte. Wir setzten uns und warteten.

Nach etwa zwanzig Minuten erschien eine junge Frau. Ihre Augen durchforsteten nervös die Menge. Als sie Sila mit dem Kätzchen sah, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.

— Mina! — rief sie und lief auf sie zu.

Sie kniete sich nieder, Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie drückte Mina fest an sich. — Mein liebes Mädchen… — flüsterte sie, das Gesicht in ihr Fell gedrückt. — Ich habe mir solche Sorgen gemacht.

Sie sah Sila an – ihre Augen voller Dankbarkeit. — Danke. Vielen, vielen Dank. Ich dachte, ich hätte sie für immer verloren. Sie ist mir beim Umzug entlaufen, und ich habe sie Tag und Nacht gesucht.

Sila lächelte nur – ehrlich, aufrichtig. — Sie hat mich gefunden, — sagte er. — Ich habe sie nur gewärmt.

Die Frau hieß Anja. Sie bestand darauf, Sila etwas Geld zu geben, doch er lehnte ab.

— Es reicht zu wissen, dass es ihr gut geht, — sagte er.

Anja lud uns in ein nahegelegenes Café ein. Bei einer Tasse heißem Tee erzählte sie, dass Mina nicht einfach nur ein Haustier sei. Sie war die Verbindung zu ihrer verstorbenen Mutter. Ihre Mutter hatte Mina als kleines Kätzchen gefunden und großgezogen. Und nach ihrem Tod war Mina das letzte Andenken an sie.

— Sie ist Familie, — sagte Anja, und in ihrer Stimme lag ein zitternder Schmerz.

Als wir uns verabschieden wollten, fragte Anja Sila, ob er Hilfe brauche, und er gestand, dass er keinen festen Wohnsitz habe. Mit Tränen in den Augen versprach Anja, ihm zu helfen.

Und hier kam die überraschende Wendung: Anjas Mutter war zu Lebzeiten Sozialarbeiterin gewesen, und Anja hatte dieselbe grenzenlose Güte von ihr geerbt. Sie kannte Leute in einem lokalen Obdachlosenheim und half Sila, ein warmes Bett, Essen und sogar eine vorübergehende Arbeitsstelle zu finden.

Aber das Wichtigste: Sie fand einen Weg, das Andenken an ihre Mutter zu ehren. Anja gründete einen kleinen Hilfsfonds für Obdachlose und bat Sila, bei dessen Umsetzung zu helfen. Er hatte ein großes Herz und ein tiefes Verständnis für die Not anderer.

Sie wurden Freunde. Sie arbeiteten gemeinsam, halfen anderen… und fanden darin Heilung und neuen Lebenssinn.

Die Lehre aus dieser Geschichte liegt in der Kraft der Güte und der Verbundenheit. Eine kleine Geste des Mitgefühls kann eine ganze Welle der Veränderung auslösen. Sila, der alles verloren hatte, fand durch die Fürsorge für ein winziges Wesen einen neuen Weg. Anja, die einen Verlust betrauert hatte, fand einen Weg, das Werk ihrer Mutter weiterzuführen, indem sie jemandem die Hand reichte.

Manchmal entstehen die tiefsten Verbindungen an den unerwartetsten Orten. Und manchmal verändern die einfachsten Handlungen ein ganzes Leben.

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